Europa braucht mehr digitales Selbstbewusstsein!

Amerikanische Unternehmen beginnen mittels digitaler Geschäftsmodelle ihre Werte über die Welt zu stülpen. Aber wollen wir diesen digitalen Kreuzzug einfach geschehen lassen? Das digitale Europa macht sich viel zu klein. Ja, es fehlt an einigem – aber vielleicht fangen wir mit Selbstbewusstsein an!
Meine Sorge bestätigte auch die von der Initiative nextMedia.Hamburg lancierte Veranstaltung nextMedia.in/sight kürzlich in Hamburg, zu der ich eingeladen war. Es sprach der Managing Director Northern, Central and Eastern Europe von Facebook, also derjenige, der die Interessen Europas gegenüber den USA kommunizieren und vertreten könnte und sollte. Aber das Gegenteil war der Fall. Bedenken aus Europa bezüglich des Datenschutzes etwa oder die Einhaltung lokaler Arbeitsgesetze scheinen für Facebook kein Thema. Im Gegenteil: Europa wird als Blockierer abgetan, womit ein wirtschaftlich äußerst relevanter Markt abgekanzelt wird.

Das wiederum ist eine nicht unübliche Mentalität bei US-Start-Ups, wenn sie erwachsen werden und in die Märkte außerhalb der USA expandieren. Uber ist ein weiteres Beispiel dafür. Eine interessante gesellschaftliche Diskussion schließt sich hier an: Wie kann ein Unternehmen mit einer vielleicht guten Idee international erfolgreich werden, wenn das beinhaltet, gegen lokale Gesetze zu verstoßen? Uber jedenfalls gelingt dies nur mäßig: Inzwischen lehnen viele Großstädte aus genau diesem Grund eine Zusammenarbeit mit dem alternativen Taxiunternehmen ab, wie das Manager Magazin berichtet. Und auch Facebook geht mit seinen neuen Nutzungsbedingungen hart an die Grenze deutscher Gesetze oder darüber hinaus.

Eine mögliche Haltung hierzu ist natürlich, das nicht so ernst zu nehmen und den Ideen der US-Firmen nicht im Wege zu stehen, damit auch Europa wirtschaftlich von dieser Innovationskraft profitieren kann. Aus meiner Sicht greift das aber zu kurz. Gerade in der digitalen Geschäftswelt sind Kundenbedürfnisse mächtiger und ihre Ignoranz schädlich. Ein nur kleines, aber plastisches Beispiel erlebte ich jüngst mit dem Dienst Moments, einer App, die mir zeigt, wieviel ich mein iPhone benutze – und wo. Eine nette Idee, um zu schauen, wie abhängig man von seinem mobilen Endgerät ist oder einfach nur, um zu reflektieren, wann und wo man es nutzt. Nur: Bei mir wurde die Ortsangabe fehlerhaft wiedergegeben! „Na und?“, könnte man meinen. Bis vielleicht in der Straße, in der man vermeintlich war, ein Verbrechen stattfindet und man dessen verdächtig wird. Klingt fatalistisch? Vielleicht. Es geht aber darum, aufzuzeigen, dass eine digitale Anwendung das Vertrauen seiner Nutzer braucht. Moments hat meines nicht mehr. Und Facebook wird es auch schwer haben, das Vertrauen der europäischen Wirtschaft zu erlangen. Aktuell verlassen viele digitale Vordenker das Netzwerk.

Schade ist, dass gerade in Deutschland keine Kultur herrscht, Probleme mangelnder Offenheit vieler US-Firmen für die lokalen Belange selbstbewusst anzugehen. Statt einer konstruktiven Auseinandersetzung, wird oft blockiert oder gar ignoriert. Und statt Gegenvorschläge zu unterbreiten, wird geschimpft – aber nur im Stillen. Weder aus der Politik, noch aus dem lokalen Management der Wirtschaft kommen starke Stimmen, die sich für die amerikanischen Geschäftsmodelle begeistern, aber die deutschen oder europäischen Belange dabei in den Vordergrund stellen.
Ich finde, das muss sich ändern.

Über den Autor: Willms Buhse

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Dr. Willms Buhse, CEO und Gründer von doubleYUU, bringt mit Digital Leadership die Innovationen des Silicon Valley in die Büros der deutschen Führungsetagen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele Top-Manager zählen zu seinen Kunden. Er hält Vorträge in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an deutschen Elite-Universitäten in Berlin, München oder Hamburg. Dr. Willms Buhse gilt über deutsche Grenzen hinaus als Vordenker der digitalen Elite. Wie kein Zweiter versteht er es, Ideen und Impulse aus der digitalen Welt auf die Realität deutscher Unternehmen zu übertragen.