Digitalisierung entsteht nicht durch selbstfahrende Gabelstapler

Mein Resümee vom IT-Gipfel 2015

Ich war auf dem IT-Gipfel Berlin und um das Positive gleich vorweg zu nehmen: Das politische Kabinett vor Ort war fast beschlussfähig, wie Kanzlerin Merkel als Einstieg in ihrem Vortrag bemerkte. Will heißen: Es war eine große Riege der Politprominenz anwesend, und das in Zeiten, in denen Terrorismus und die Flüchtlingsdebatte die Schlagzeilen beherrschen. Und noch etwas: nicht nur, dass zahlreiche Politiker gekommen waren, keiner von ihnen nutzte dieses Parkett, um sich zur politischen Großwetterlage zu äußern – Danke! Es sollte um Digitalisierung gehen, und das tat es auch.

„Rasanter Transformationsprozess“

Also, beinahe. Denn hier müssen wir noch einmal genauer hinsehen. Zunächst einmal muss man sich die Frage stellen, ob ein IT-Gipfel automatisch ein Digitalisierungsgipfel ist. Die Antwort ist: Ja. Denn viele Beiträge und Gesprächsrunden rankten sich um das Thema der Digitalisierung, die in den Unternehmen eben nicht (nur) in der IT-Abteilung stattfindet, sondern in Digitalabteilungen und optimaler Weise auch im Rest der Organisation. Wie Sigmar Gabriel ganz richtig sagte: „Die Digitalisierung hat einen rasanten Transformationsprozess in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft eingeleitet. Um diese Transformation zu gestalten, brauchen wir einen Austausch auf Augenhöhe zwischen den Akteuren der IKT-Branche, IT-Anwendern und gesellschaftlichen Gruppen.“ Über den IT-Fokus reden wir gleich nochmal.

Europa liegt zurück, Deutschland geschwächt

Dabei kann ich auch Günther Oettinger zustimmen. Der nämlich betonte, dass eine digitale Wirtschaft und Gesellschaft ein europäisches Thema und kein rein deutsches sein darf. Damit neue Businessmodelle gedeihen, Start-Ups wachsen und Innovationen weltweit konkurrenzfähig sein können, müssen digitale Prozesse europäisch gedacht und gestaltet werden. Europa braucht hier viel mehr Vernetzung und digitales Selbstbewusstsein! (Hier geht es zu einem Blogbeitrag, den ich dazu schon einmal verfasst hatte). Denn – das wurde auf dem IT-Gipfel sehr deutlich und von mehreren Rednern betont – es gibt eine gefährliche Überlegenheit der USA gegenüber Europa. Und zwar dergestalt, dass die digitale Überlegenheit Amerikas die deutsche Wirtschaft bereits spürbar schwächt. Das bestätigt auch eine aktuelle Studie im Auftrag des Wirtschaftsministeriums, nach der Deutschland im Zehn-Länder-Vergleich der Digitalisierung der Wirtschaft einen Platz zurückfiel, während sich China und Japan vorwärts entwickelten. Unangefochtene Spitzenreiter sind natürlich die USA, gefolgt von Südkorea und Großbritannien.

Industrie 4.0 reicht nicht

Woran liegt das? Immerhin haben wir in Deutschland über 200 Beispielen für Industrie 4.0 vorzuweisen, in denen die Kommunikation der Maschinen untereinander bereits sehr erfolgreich umgesetzt wird. Hier geht’s zur Landkarte Industrie 4.0, in der die nachzulesen sind. Aber genau hier liegt der Denkfehler. Digitalisierung ist eben nicht nur das. Sie entsteht nicht, weil ein autonom fahrender Gabelstapler erfunden wird. Wirtschaftlicher Fortschritt entsteht mit neuen Produkten, neuen Vermarktungsplattformen und steigender Nähe zum Kunden – logisch eigentlich.

Führungskräfte und Mitarbeiter digital mitnehmen

Und wer schafft neue digitale Produkte, Vermarktungsstrategien und digitale Kundennähe? Wer schafft die digitale Transformation unserer etablierten Unternehmen? In Deutschland vorrangig Mitarbeiter in Mittelstand und Großunternehmen. In allererster Linie muss ein Unternehmen über Mitarbeiter verfügen, die erstens fachlich und zweitens in ihrem Mindset die Voraussetzungen dafür mitbringen. Aber bei digitaler Bildung liegt Deutschland leider meilenweit zurück.

Und da liegt der größte Nachholbedarf in Deutschland. Mitarbeiter müssen aufgeschlaut werden – also digital gefördert und gebildet werden. Schließlich haben wir hier, zum Glück, keine „Hire and Fire“-Mentalität, in der jeder ausgetauscht werden kann, der das Notwendige nicht weiß. Deshalb ist das Thema des nächsten IT-Gipfels nur folgerichtig: Digitale Bildung. Ich bin gespannt!

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4 Comments

  1. Kolli 29/11/2015 at 11:05 - Antworten

    Wenn man in einem Unternehmen für digitalen Vertrieb arbeitet, merkt man bei sehr vielen Unternehmen, dass die digitale Bildung bei vielen Unternehmen im Jahr 2005 stehen geblieben ist. Dass man sogar Gabelstapler, Seitenstapler und Co. automatisieren kann, davon sind 90% Meilen weit entfernt. Auch ist die Angst davor etwas falsch zu machen sehr groß. Daher ist der einzige Zugriff für die meisten das Stapler mieten um sich dem Ganzen etwas zu nähern. Meist ohne Erfolg… Viele Grüsse

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    Willms Buhse 02/12/2015 at 15:09 - Antworten

    Hallo – Danke und ja, das ist wohl leider so. Toll von einem Unternehmen der Fördertechnik etwas zum Thema zu hören! Ahoi, Willms

  3. Breitenfeld 06/05/2016 at 15:31 - Antworten

    Mit Industrie 4.0 hat sich nun doch ein klein wenig geändert. In den meisten größeren Firmen ist die EDV Abteilung für die Automatisierung zuständig. Eine häufig unterbesetzte und überforderte Abteilung, die auch eigene Konzepte und Strategien verfolgt.
    Im Kontext mit unserer Kanzlerin hört man von der EDV häufig „wir schaffen das“! Das wann und wie bleibt offen. Unterstützt wird die EDV Abteilung von einem Management, dessen Empfehlung lautet „besorgt euch einen Laptop und schreibt etwas Software dazu, wenn es klappt ist es gut, wenn nicht ist auch nichts kaputt!“
    Durchdachte Strategien sehen anders aus!
    Längerfristige Planungen habe ich, wenn sie denn existieren, leider nicht wahrnehmen können.

Über den Autor: Willms Buhse

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Dr. Willms Buhse, CEO und Gründer von doubleYUU, bringt mit Digital Leadership die Innovationen des Silicon Valley in die Büros der deutschen Führungsetagen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele Top-Manager zählen zu seinen Kunden. Er hält Vorträge in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an deutschen Elite-Universitäten in Berlin, München oder Hamburg. Dr. Willms Buhse gilt über deutsche Grenzen hinaus als Vordenker der digitalen Elite. Wie kein Zweiter versteht er es, Ideen und Impulse aus der digitalen Welt auf die Realität deutscher Unternehmen zu übertragen.