Was Unternehmen von Start-ups lernen können – und was nicht

Wie ein Start-up müsste man sein: Für den weltweiten Roll-Out eines neuen Features benötigt Uber gerade mal einen bis anderthalb Tage – dann steht allen Kunden, die die App nutzen, ein neuer Dienst zur Verfügung. So schnell würde gerne jedes Unternehmen weltweit etwas Neues auf den Markt bringen. Schnell und beweglich wie ein Motorboot müsste man sein.

Die Generation Y fliegt auf Unternehmen wie Uber – oder alternativ auf Firmen wie Slack oder Tinder und erst recht auf die etablierten Giganten aus der Start-up-Szene wie Google, Facebook oder Zalando. Die Talente stehen dort Schlange. Die IT ist cloud-basiert und damit schlank und flexibel. Märkte werden aggressiv erobert und wenn Regularien dem Wachstum entgegenstehen, dann ignoriert man sie im Zweifelsfall erst einmal. So macht es Uber beim Thema Personenbeförderung und Google verfuhr so beim Einscannen aller Bücher dieser Welt.

Was Unternehmen von Start-ups nicht lernen können

Sollten wir da nicht alles tun, um von diesen Erfolgsmodellen zu lernen? Sollten nicht alle Großunternehmen beginnen, wie ein Start-up zu agieren?

Die Antwort ist: Jein. Ja, bei Themen wie Geschwindigkeit, Agilität, Veränderungsfähigkeit und Innovationsgeist gibt es vieles, von dem man sich inspirieren lassen kann, wenn man ins Silicon Valley oder in die Hinterhöfe von Berlin blickt.

Vergessen darf man dabei nicht, dass Start-ups auf der grünen Wiese entstehen. Sie verfügen nicht über gewachsene Strukturen, die unter Umständen bedeuten, dass Milliarden von Euro als Kapital in Form von Maschinen und Standorten gebunden sind und nicht einfach aufgegeben werden können.

Auch die Tatsache, dass viele zehntausend Menschen seit Jahrzehnten mit Herzblut und hoher Loyalität für ihren Arbeitgeber tätig sind – und daher von diesem ebensolche Loyalität erwarten können – unterscheidet klassische Unternehmen von Start-ups.

Und manche Ansätze aus der Start-up-Welt hätten in der klassischen Unternehmenswelt sogar fatale Folgen. Ein Silicon Valley-Mantra wie „Fail early, fail often“ ist nicht praktikabel, wenn man sichere Autos oder Kraftwerke bauen will.

Start-ups leben zudem eine Hire & Fire Mentalität, Work-Life-Balance bedeutet oft: Nach 22 Uhr zum Duschen und Schlafen schnell nach Hause und am nächsten Morgen wird weiter gekeult. So ein Arbeits- und Lebensmodell ist vielleicht für einen Programmier-Freak bei Google eine Erfüllung – für die allermeisten Mitarbeiter klassischer Unternehmen ist es nicht erstrebenswert.

Und mal abgesehen davon, dass gesetzliche Regelungen natürlich grundsätzlich nicht außer Acht gelassen werden dürfen, nur weil das besser ins Geschäftsmodell passt: Wenn man sich vor Augen hält, welche Krise Volkswagen wegen seiner Dieselsoftware derzeit erlebt, wird klar, dass der kalkulierte Regelbruch für klassische Unternehmen in etablierten Märkten keine sinnvolle Strategie ist.

Man sollte also nicht behaupten, dass klassische Unternehmen die Erfolgsrezepte der Start-ups 1:1 kopieren sollten.

Wie Unternehmen von Start-ups lernen können

Lernen aber sollten sie von ihnen. In Zeiten der Digitalisierung sind Unternehmen gezwungen, neues, ungewisses Terrain zu erschließen, in dem bewährte Strukturen und Vorgehensweisen nicht mehr so einfach funktionieren. Eine flexible Businessplanung und die Fähigkeit, durch agiles Denken und Handeln in unsicheren Märkten zu manövrieren, sind notwendig.

Wie aber lässt sich das Beste aus beiden Welten vereinen? Neben der Arbeit am Mindset, über die ich bereits geschrieben habe, kann ein Vorgehen sein, in bestimmten Geschäftsfeldern die Lean-Start-up-Strategie anzuwenden. Das heißt: Auch als Teil eines klassischen Unternehmens hypothesenbasiert zu arbeiten, den Entwicklungsprozess inkrementell und mit extremen Kundenfokus anzugehen, Scheitern einzuplanen und aus Fehlern schnell zu lernen.

Allerdings kann gerade bei großen Unternehmen nicht erwartet werden, dass das gesamte Mutterschiff auf eine iterative Philosophie umschwenkt. Deshalb sind Lean-Start-up Projekte innerhalb von Konzernen wie Telekom oft als kleine, unabhängige Gründerzellen strukturiert.

Die Gründung eines Digital Accelerators – eines Tochterunternehmens, das nach dem VOPA-Prinzip funktioniert – ist deshalb ein sinnvoller Schritt. Ein digitaler Accelerator ist eine Möglichkeit, damit eine Einheit im Unternehmen in Internet-Geschwindigkeit Produkte und Services entwickelt. Dabei gehört es zum Prinzip, dass diese Einheit bei der Produktentwicklung mit limitierten Ressourcen schnell herausfindet, was am Markt funktioniert.

Bosch beispielsweise hat unter anderem eine Start-up-Plattform sowie Innovations-Cluster zu Themen wie Connected Industry und Mobility gestartet. Diese „Schnellboote“, wie CEO Volker Denner sie nennt, sollen den Tanker Bosch in die Lage versetzen, mit Internet-Speed Innovationen zu entwickeln und zu testen. „Wir nehmen die Unerschütterlichkeit, Kraft und Reichweite eines ozean-tauglichen Tankers und kombinieren ihn mit der Geschwindigkeit und Agilität eines Schnellboots“, schreibt er.

Fazit

Um die positiven Aspekte der Start-up-Kultur in ein Unternehmen zu übertragen, reicht es nicht, einfach auszurufen, dass von Slack, Tinder und Co. gelernt werden soll. Damit ein agiler Mindset entsteht und flexible Businessplanung gelebt werden kann, braucht es auch entsprechende Änderungen in der Struktur. Denn oft blockieren starre Hierarchien und Bürokratie digitale Innovationen und neue Geschäftsmodelle.

Radikale Weiterentwicklung des Geschäftsmodells und eine hohe Umsetzungsgeschwindigkeit sind Themen, die klassische Unternehmen unter anderen wegen ihrer Hierarchien und ihrer komplexen Strukturen oft besser in Form eines externen Accelerators abdecken können. Am besten nah genug am Unternehmen, um die Erfolgs-DNA zu übertragen, aber weit genug weg, um alle Freiheiten genießen zu können.

Letztlich aber reicht es nicht aus, nur digitale Beiboote auf die Reise zu schicken, während der Tanker unbeirrt seinen Kurs beibehält. Impulse aus den Acceleratoren sollten wie das Lernen aus Best Practices der Digitalen Transformation dazu genutzt werden, um das gesamte Unternehmen zu transformieren. Hierfür braucht es eine Strategie, die alle Unternehmensbereiche integriert und alle unternehmerischen Dimensionen berücksichtigt. Dann – und nur dann – können auch etablierte Unternehmen zu den Gewinnern der Digitalen Transformation gehören.

Bildquelle: Igor Kasalovic/Unsplash

One Comment

  1. Alexander Aleger 10/07/2017 at 09:04 - Antworten

    Ein schöner Beitrag, der meine Überlegungen zu dem Thema exakt auf den Punkt gebracht hat! Ich habe es schon so oft erlebt, dass Digitalisierung und Weiterentwicklung sich nur auf einzelne Bereiche ausgewirkt haben und das Kerngeschäft so gemacht wird, wie auch schon vor 10 Jahren. Wichtig ist vor allem eine Strategie für das gesamte Unternehmen zu entwickeln.

Über den Autor: Willms Buhse

Avatar photo
Dr. Willms Buhse, CEO und Gründer von doubleYUU, bringt mit Digital Leadership die Innovationen des Silicon Valley in die Büros der deutschen Führungsetagen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele Top-Manager zählen zu seinen Kunden. Er hält Vorträge in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an deutschen Elite-Universitäten in Berlin, München oder Hamburg. Dr. Willms Buhse gilt über deutsche Grenzen hinaus als Vordenker der digitalen Elite. Wie kein Zweiter versteht er es, Ideen und Impulse aus der digitalen Welt auf die Realität deutscher Unternehmen zu übertragen.