Wie die digitale Transformation gelingt und ihre Fans gewinnt

Auf der World Class Digital Transformation Conference in Frankfurt in der Commerzbank Arena hielt ich letzte Woche einen Workshop über die „Real Digital Transformation“ und habe festgestellt: Die Erwartungen der Wirtschaft an das Thema Digitalisierung sind hoch, aber kaum einer weiß, wie es geht.

Die einzelnen Kenntnisse über die digitale Wirtschaft sind dabei durchaus an vielen Stellen solide. Was der Wirtschaft und ihren Führungskräften fehlt, ist eine umfassende Idee, wie die digitale Transformation in ihren Unternehmen verankert werden kann. Und so fiel mein Workshop auf fruchtbaren Boden, auf dem unter anderem Folgendes beackert wurde:

Die Verantwortung liegt bei allen

Bei der digitalen Transformation handelt es sich um einen ganzheitlichen Veränderungsprozess, der aus verschiedenen konkreten Bausteinen besteht. Dieser kann nicht gelingen, ohne dass die Führungskräfte Verantwortung dafür übernehmen und schon gar nicht, ohne dass die Mitarbeiter mitgenommen werden. Und genau da muss die Strategie zur digitalen Transformation ansetzen. Im Workshop sage ich dazu: „If you make one person responsible for it, it is not going to happen.” Damit meine ich: Die Verantwortung für das Gelingen der digitalen Transformation sollte nicht bei einer Person alleine liegen. Oft – auch in diesem Workshop – gibt es die Diskussion, ob denn der CIO oder CMO für die Digitalisierung verantwortlich sei. Die Antwort ist: natürlich beide! Inklusive aller ihnen zugeordneten Mitarbeiter. Damit die digitale Transformation gelingt, muss ein neuer „mind set“ her. Daher ist der erste Baustein der digitalen Transformation immer: Inspiration.

„Crossing the chasm“: die Skeptiker kriegen

Bild2

Nun gibt es in jedem Unternehmen diejenigen, die quasi von Natur aus inspiriert sind. Die Neues generieren oder sofort aufspringen, wenn ein Trend oder eine Innovation in Sicht sind – die „Innovators“ und die „Early Adopters“. Diese Gruppe von Mitarbeitern ist das digitale Rückgrat eines Unternehmens, denn die hat den „digital mindset“ bereits. Das sind die ersten, die ein Unternehmen an Bord holen muss. Sie müssen so aktiv wie möglich eingebunden werden, durch spezifische Projekte, Mitmachformate oder neue Aufgaben bei der Einführung neuer Tools zum Beispiel. Achtung: Dabei ist es unerheblich, welcher Abteilung oder Hierarchiestufe diese Mitarbeiter zugehörig sind! Die wiederum ziehen dann – nahezu automatisch – die nächste Gruppe mit: die „Early Majority“. Und damit ist der Graben übersprungen. Wenn ich die „Innovators“, „Early Adopters“ und die „Early Majority“ inspiriert habe, neue Wege zu gehen, habe ich die Hälfte des Unternehmens auf meiner Seite! Und das ist weit mehr, als Veränderungsprozesse in Unternehmen gewöhnlich hinter sich haben. Die Skeptiker haben dann keine Wahl mehr und werden sich sukzessive auf die Neuerungen einlassen (oder in manchen Unternehmen schweigend auf die Rente warten…).

Agiles Management: Führung fit machen

Ein weiterer Aspekt der digitalen Transformation ist das Planen unter Unsicherheit. „Wie kann ich dafür sorgen, dass Unsicherheit ein Teil des Businessplans ist?“ So lautete sehr zu Recht die Frage eines Workshop-Teilnehmers. Denn das Internet ist schnelllebig und von hoher Unsicherheit geprägt. Herkömmliche Unternehmenspläne beziehen sich auf bereits existierende Produkte in bereits existierenden Märkten. Eventuell auf neue Produkte in existierenden Märkten oder neue Märkte für existierende Produkte. Aber Digitalisierung von Geschäftsprozessen findet häufig als Entwicklung neuer Produkte in neuen Märkten statt! Mehr Unsicherheit kann es kaum geben. In der Produkt-Markt-Matrix des von mir geschätzten kalifornischen Professors Harry Igor Ansoff wird dieser Teil oft als „Suicide Quadrant“ bezeichnet. Und wie passt der in einen Fünfjahresplan? Gar nicht, Facebook hat auch keinen. Das heißt aber nicht, dass Prozesse beliebig werden dürfen. Und sie müssen es auch nicht. Moderne, agile Managementmethoden greifen diese Unsicherheit und gleichzeitige Komplexität auf und erlauben eine strukturierte und auch strategische Produktentwicklung unter hoher Unsicherheit. Wichtig ist, das Management hierin fit zu machen. Der zentrale Teil einer Strategie zur Digitalisierung ist es, den Führungskräften die Verantwortung für agiles Management zu übertragen.

Fehler zulassen und schnell beheben

Es gibt ja nicht umsonst tausend Sinnsprüche über die Notwendigkeit, Fehler zu machen und daraus zu lernen. In der deutschen Unternehmenskultur gelten die genau so lange, bis etwas schief läuft. Dabei ist das der größte Fehler überhaupt! Ein seinerzeit sehr kleines Start-Up-Unternehmen aus dem Silicon Valley, das ich vor Jahren kennengelernt habe, schrieb sich stattdessen die Kultur des „Rapid Recovery“ auf die Fahne. Dahinter steckt: Statt Fehler zu vermeiden gilt es, sich zügig von ihnen zu erholen und daraus zu lernen. Natürlich gibt es Fehler, die darf man in der Tat nicht machen. Solche, die eine nachhaltige geschäftsschädigende oder –zerstörende Wirkung haben. Aber noch viel mehr gibt es exzellente, wichtige Fehler, die zu machen ein Unternehmen zulassen muss. Nur dann können zwei Ziele miteinander kombiniert werden, die die Grundlage erfolgreichen Unternehmenswachstums sind: Rapid Innovation und Excellent Execution. Ein falscher Preis steht in Ihrer Internetanzeige? Blöd, aber nicht schlimm. Es sei denn, die Prozesse in Ihrem Unternehmen sind so langsam und bürokratisch, dass dieser Fehler Tage braucht, bis er behoben wird, etwa, weil zehn Leute eine Preisänderung für Internetbanner genehmigen müssen. Unternehmenslenker müssen also dafür sorgen, dass Fehler passieren dürfen, aber schnell behoben werden können. Und zwar nicht nur der Geschäftsführer oder der „Head of Innovation“. Jeder einzelne Manager kann so eine Denkweise entwickeln. Ach so, das eben beschriebene Start-up aus dem Silicon Valley war übrigens Netflix und ist heute ein milliardenschwerer internationaler Konzern.

Vernetzung mit dem digitalen Rückgrat

Wenn also das gesamte Unternehmen auf die Digitalisierung eingestellt ist, sich die Führungskräfte für die digitale Transformation verantwortlich fühlen, agiles Management beherrschen und eine entsprechende Fehlerkultur in ihren Abteilungen verankert haben, gilt es, konkrete Maßnahmen umzusetzen. Das kann die Einführung einer neuen Technologie sein, die Entwicklung innovativer Produkte, ein neuer vertrieblicher Ansatz, der den digitalen Kunden mitnimmt, eine Überarbeitung der Prozesse im Kundenservice oder alles zusammen. Hier kommen wir zum Anfang der Strategie zur digitalen Transformation zurück: zum digitalen Rückgrat. Es gilt, sich mit diesem zu vernetzen – also mit denen, die intrinsisch motiviert sind, sich mit einem Thema zu beschäftigen und die vielleicht schon umfangreiches Wissen dazu angesammelt haben. In Mitmachformaten wie OpenSpaces, Barcamps oder FedEx Days wird diese Gruppe genutzt, um neue Wege zu gehen. In diesen Formaten entscheiden alle Teilnehmer (und teilnehmen kann jeder), über welche Schwerpunktthemen gesprochen werden soll und übernehmen die Verantwortung dafür, dass konkrete Ergebnisse und Maßnahmen verabschiedet werden.

Zusammenfassend stelle ich fest: die digitale Transformation hat viele Aspekte, die sich in einer Strategie wiederfinden müssen. Darunter die Verwendung neuer Technologien, die Entwicklung von Prozessen, die sich auf den digitalen Kunden einstellen, die Entwicklung innovativer Produkte und das Erschließen neuer Märkte. Aber all diese Maßnahmen können nur gelingen, wenn das Management und die Mitarbeiter in die Verantwortung genommen werden, daran mitzuarbeiten. Ganz konkret: Inspirieren Sie Ihre Mitarbeiter, planen Sie agil, setzen Sie auf Rapid Recovery statt auf Fehlervermeidung und vernetzen Sie sich mit ihrem digitalen Rückgrat. Nur dann können Sie digitale Produkte am Markt erfolgreich platzieren.

Ansonsten spielen Sie vor leeren Rängen. Und verlieren das Spiel.

Über den Autor: Willms Buhse

Avatar photo
Dr. Willms Buhse, CEO und Gründer von doubleYUU, bringt mit Digital Leadership die Innovationen des Silicon Valley in die Büros der deutschen Führungsetagen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele Top-Manager zählen zu seinen Kunden. Er hält Vorträge in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an deutschen Elite-Universitäten in Berlin, München oder Hamburg. Dr. Willms Buhse gilt über deutsche Grenzen hinaus als Vordenker der digitalen Elite. Wie kein Zweiter versteht er es, Ideen und Impulse aus der digitalen Welt auf die Realität deutscher Unternehmen zu übertragen.