Digital Gipfel: Gaia-X ist Europas digitale Unabhängigkeitserklärung gegenüber Amerika

Letzte Woche fand der Digital-Gipfel in Dortmund statt und ich war nach vielen Jahren mal wieder vor Ort. Es war für mich persönlich letztlich doch ein motivierendes Event und vielleicht sogar die Geburtsstunde der „Startrampe für den KI-Airbus“, aber dazu später mehr.

Allein schon, dass alle deutschen Politiker da waren, die etwas in Sachen Digitalisierung zu sagen haben, spricht für den Gipfel. Ob nun die Kanzlerin, Verkehrs- und Netz-Minister Andreas Scheuer oder Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der mit seinem Sturz natürlich für den Schockmoment des Gipfels sorgte.

Beherrschendes Thema war natürlich Gaia-X. Ich finde den Ansatz und die Idee ausgesprochen schwierig umzusetzen, aber mindestens gedanklich richtig. Es ist an der Zeit, die Werte, für die Europa steht, auch in einer digitalen Welt zu schützen und zu fördern und eben nicht China oder den USA mit ihrem anderen Politik- und Wirtschaftsverständnis das Feld zu überlassen.

Gaia-X ist so etwas wie die digitale Unabhängigkeitserklärung gegenüber Amerika

Wie ich zur Wahl von US-Präsident Donald Trump in der WiWo schrieb scheint dies ein Schups in Richtung digitaler Selbstverständnis in Europa zu sein.

Wie Gaia-X tatsächlich genau aussehen wird, scheint derzeit allerdings noch etwas unklar. Heise.de beschreibt das Projekt wie folgt:

„Durch die vernetzte Daten-Infrastruktur sollen sich insbesondere kleine Unternehmen aus dem produzierenden Bereich Zugang zu Cloud-Lösungen und Edge-Computing verschaffen, ohne ihre Datensouveränität abzugeben.“

So ergänzte auf dem Gipfel auch der Beauftragte für digitale Wirtschaft und Start-ups im Bundeswirtschaftsministerium Thomas Jarzombek:

Dabei beabsichtigt die Bundesregierung nicht, ein eigenes Cloud-Angebot einzurichten, das in Konkurrenz zu US-Angeboten wie Google und Amazon stehen würde. Vielmehr wollen Deutschland und Frankreich die Entwicklung mit Forschungsinstituten und der Privatwirtschaft voranbringen, damit europäische Unternehmen eigenständig Cloud-Lösungen aufbauen können. Langfristiges Ziel ist eine gesamteuropäische, industrielle Plattform zur Anwendung von Künstlicher Intelligenz.

Gaia-X hat zudem eine strategische Komponente. In Wahrheit kann heute keiner garantieren, dass Trump in einem handfesten Handelsstreit nicht auf die Idee kommt, Europa den Zugang zu den US-Cloud-Servern zu sperren. So warnte Jarzombek davor, dass die derzeitigen Handelsauseinandersetzungen mit den USA sich plötzlich auch auf die gespeicherten Daten auswirken können. „Niemand gibt eine Garantie, dass die Daten in der Cloud nicht auch betroffen sein werden“, mahnte der CDU-Politiker.

Das oft zitierte Beispiel Airbus – wenn auch vor anderem Hintergrund entstanden – zeigt dagegen sehr gut, dass es möglich ist, ein gemeinsames europäisches Produkt so zu konzipieren, dass es im internationalen Vergleich standhalten kann. Passend dazu sagte Jarzombek: „Mit Gaia-X bauen wir die Startrampe für den KI-Airbus.“

Viele Beobachter glauben allerdings nicht an die Airbus-Idee. So nimmt Nico Lumma bei Gründerszene.de eine eher amerikanische Position ein, wenn er schreibt: „Eine staatlich geförderte Cloud-Infrastruktur klingt gut auf dem Papier, aber in der Praxis wird dieses Ungetüm mit der Akzeptanz des Marktes zu kämpfen haben. So lange Cloud-Anbieter europäische Datenhaltung anbieten, wird das den meisten Firmen ausreichen und sie werden anhand anderer Kriterien entscheiden: Performance und Kosten. Deswegen ist die „europäische Cloud“ eine Kopfgeburt ohne Lebensperspektive.“

Mein erster Gedanke, wenn ich so etwas lese, ist stets: Meckern ist einfacher als machen  

Holger Schmidt stimme ich dagegen zu, wenn er kommentiert, dass Gaia-X der richtige Schritt sei. „Aber das ambitionierte Cloud-Projekt kann bestenfalls die Infrastruktur für etwas Wichtigeres schaffen: Die Entwicklung wettbewerbsfähiger digitaler Geschäftsmodelle, vor allem von Plattformen und datengetriebenen Modelle, auf Basis der Künstlichen Intelligenz. In beiden Feldern ist der Nachholbedarf groß.“

Allerdings braucht es schleunigst ein paar Strategen, die sich der Positionierung und der Kommunikation des Projektes annehmen. So wurde es von allen Entscheidern anders beschrieben. Angela Merkel selbst nannte es eine Innovationsplattform, andere Minister sprachen von einer Cloud-Infrastruktur oder auch einer Sammlung von Schnittstellen und Standards. Mit einer Methode wie Visioning wäre das mit geringem Aufwand zu verhindern gewesen. So ein vermurkster Launch schafft erstmal kein Vertrauen in das Vorhaben. Und das wäre einem amerikanischen Konzern garantiert nicht passiert.

Übrigens:
Was mich persönlich gefreut hat, ist der Umstand, dass Gaia-X sich den Prinzipien meines VOPA-Modells verschrieben hat. Das Projekt setzt auf europäische Vernetzung der Akteure, es steht für Offenheit und soll agil und partizipativ umgesetzt werden.

One Comment

  1. Bernd 13/11/2019 at 08:35 - Antworten

    Hallo,
    herzlichen Dank für diese Einschätzung die Mut macht. Wir Europäer brauchen vielleicht ne Weile, aber dann, wenn wir uns entschlossen haben, dann sind wir sehr stark – und dann können wir auch große Projekte koordinieren.

Über den Autor: Willms Buhse

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Dr. Willms Buhse, CEO und Gründer von doubleYUU, bringt mit Digital Leadership die Innovationen des Silicon Valley in die Büros der deutschen Führungsetagen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele Top-Manager zählen zu seinen Kunden. Er hält Vorträge in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an deutschen Elite-Universitäten in Berlin, München oder Hamburg. Dr. Willms Buhse gilt über deutsche Grenzen hinaus als Vordenker der digitalen Elite. Wie kein Zweiter versteht er es, Ideen und Impulse aus der digitalen Welt auf die Realität deutscher Unternehmen zu übertragen.