Mehr europäische Werte, weniger Fake News: Sacha Baron Cohen und Jimmy Wales wollen die Social-Media-Kommunikation retten – jeder auf seine Weise

Wirklich wichtige Dinge kommen selten allein. Schon lange wabert die Kritik an Facebook und sein höchst fragwürdiges Agieren in Sachen Meinungsfreiheit, Faktenprüfung und Wahlwerbung durch die öffentliche Meinung – zumindest in der Filterblase der Tech-, Business- und Medienschaffenden. Doch jetzt ist es endlich einer Person gelungen, den gesamten Komplex einmal exakt auf den Punkt zu bringen.

Fast zeitgleich rückt zum ersten Mal das neue Social-Network von Wikipedia-Mastermind Jimmy Wales in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit. Beide Events passen wunderbar zusammen. Schließlich zeigen sie, jedes auf seiner Art und Weise, woran es Facebook – stellvertretend für andere soziale Medien – fehlt, was derzeit die Debatte belastet und wie wichtig ein eigener europäischer Standpunkt im Umgang mit den großen Tech-Riesen eigentlich wäre.

Wenden wir uns allerdings als erstes Sacha Baron Cohen zu. Der Borat-Darsteller sprach mir am Wochenende wahrlich aus der Seele. Sehr klar wies er einfach nur auf den höchst fragwürdigen Umgang von Facebook mit der Meinungsfreiheit hin.

„Facebook verwechselt Freedom of Speech mit Freedom of Reach“

Im Rahmen einer Veranstaltung der Anti-Defamation League trat der britische Comedian völlig unverstellt als er selbst auf und holte zum Rundumschlag gegen Facebook und Mark Zuckerberg aus. In seiner rund 20-minütigen Rede ging er unter anderem auf den Umgang von Facebook mit politischer Werbung ein. Mehrfach zitierte er dabei Zuckerberg, der beispielsweise eine Regulierung von politischer Werbung mit einem Eingriff in die Redefreiheit gleichgesetzt hatte. Cohen hält dagegen, dass „Freedom of Speech“ nicht mit „Freedom of Reach“ sei. Facebook sei die größte Plattform der Geschichte, mit der man knapp ein Drittel der Weltbevölkerung erreichen könne. Und eine solche Plattform dürfe man den Rassisten und Pädophilen dieser Welt nicht bieten.

Dass unterdessen die freie Meinungsäußerung eingeschränkt würde, wie Zuckerberg zu bedenken gab, nennt Cohen „Unsinn“. Es gehe ihm einfach darum, dass sich Plattformen wie Facebook ihrer Verantwortung vollends bewusst werden müssen.

Zuckerberg sei Teil der „Silicon Six“ (mit Sundar Pichai, Larry Page, Sergey Brin, Susan Wojcicki, und Jack Dorsey – also die Verantwortlichen von Facebook, Google, YouTube und Twitter) so Cohen weiter, die darüber bestimmen, welche Informationen ein Großteil der Weltbevölkerung zu sehen bekommt. Dieser Zustand sei „unglaublich“ und es müssten unbedingt auch von den Bürgern gewählte Amtsträger in diesen Prozess integriert werden.

Obwohl Cohen in seiner Rede klar anspricht, was ihn stört, gelingt es ihm, sachlich zu bleiben. Ein wenig emotional wird er dann aber doch, als er auf Zuckerbergs Aussage zu sprechen kommt, auch Beiträge nicht von Facebook verbannen zu wollen, die etwa den Holocaust leugnen. Dies sei nicht einfach eine Meinung, so Cohen, sondern es widerspreche Millionen von Beweisen, die den Holocaust zu einem historischen Fakt machen.

Zwar sei es tatsächlich oft schwierig zu entscheiden, wo man eine rote Linie zieht. Doch darum gehe es Zuckerberg in Wahrheit gar nicht. Sondern darum, dass sein Geschäftsmodell darauf basiere, möglichst viel werbewirksame Aufmerksamkeit zu generieren. Und nichts sei dabei so effektiv wie die Verbreitung von Lügen, Angst und Empörung.

Endlich bezog einmal ein Europäer Stellung, in dem Sinne, dass er sehr klar formulierte, für welche Werte die Menschen in Europa eigentlich stehen und auch im Internet stehen sollten.

Neues Social Network WT.Social

Ebenfalls getrieben von der Sorge um den Stand und die Auswirkungen der derzeitigen Kommunikationsmechaniken bei Facebook, hat Wikipedia-Mastermind Jimmy Wales mit WT.Social ein neues eigenes soziales Network gestartet.

Derzeit ist eine Anmeldung erst einmal nur nach dem Abschluss eines Abos oder einer gewissen Wartezeit möglich. Wichtigstes Feature des Networks ist die Idee, dass jedes Mitglied jeden Beitrag eines anderen Nutzers editieren kann. Der Mechanismus ist eine klasse Idee. Er wird sicherlich helfen, Fake News und Desinformation innerhalb des social Networks zu unterbinden. Er wird aber eher nicht in dem Sinne funktionieren, dass WT.Social das Zeug zur FB-Alternative hat. Die Bedienung ist schlicht nicht einfach genug, um zwei Milliarden Menschen zu begeistern.

So lautet mein Fazit dann doch: Mit der Aufmerksamkeit, die Cohen mit Recht bekommt, steigt auch der politische Handlungsdruck, Facebook und Co. Schranken aufzuzeigen. Und die Politik braucht es hier dringender als neue Technologien.

Über den Autor: Willms Buhse

Avatar photo
Dr. Willms Buhse, CEO und Gründer von doubleYUU, bringt mit Digital Leadership die Innovationen des Silicon Valley in die Büros der deutschen Führungsetagen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele Top-Manager zählen zu seinen Kunden. Er hält Vorträge in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an deutschen Elite-Universitäten in Berlin, München oder Hamburg. Dr. Willms Buhse gilt über deutsche Grenzen hinaus als Vordenker der digitalen Elite. Wie kein Zweiter versteht er es, Ideen und Impulse aus der digitalen Welt auf die Realität deutscher Unternehmen zu übertragen.