5 Agilitätsmythen: Wie klassische Organisationen an der Transformation scheitern

Vom Trend zum Unwort: Noch vor wenigen Jahren war Agilität DAS Buzzword in Sachen moderner Arbeitsweise in Unternehmen – ob in der Finanz- oder Automobilwirtschaft. Agilität machte erfolgreicher und warf, kombiniert mit anderen Prinzipien, wie Vernetztheit, Offenheit und Partizipation, die Rangordnung in vielen Märkten über den Haufen. Das lockte auch große Player. Inzwischen ist Agilität in vielen Organisationen zum Unwort verkommen. Die fünf häufigsten Fehlschlüsse über die Arbeitsweise und wie man ihnen entkommt, erkläre ich im Wirtschaftswoche Management-Blog.

Gelegentlich höre ich in meinen Workshops ein süffisantes „Da sind wir ja mal richtig schön agil gewesen“. Immer genau dann, wenn etwas nicht gelingt. Frage ich nach, zeigt sich schnell: Das Problem ist nicht die Methode, sondern ihre halbgare Umsetzung. Den meisten Unternehmen fehlt ein tiefes Verständnis für Agilität als Denk- und Führungsmuster. Methodiken stehen für sich allein, werden nicht zu Ende gedacht oder sinnvoll in die Unternehmensstruktur eingebettet. Da kann man ja nur scheitern und zermürben.

Umso wichtiger ist mir, mit Ihnen als leidenschaftlicher Verfechter dieser Arbeitsweise das Problem am Schopf zu packen: Klären wir über fünf weit verbreitete Fehlannahmen rund um agiles Arbeiten auf, im Management-Blog von Claudia Tödtmann und hier.

Mythos 1: Agilität eignet sich nur für überschaubare Teams

Keinesfalls. Zugegeben fällt es kleinen Teams oft leichter, agile Arbeitsweisen zu integrieren und durchzuhalten. Weniger Beteiligte zu haben heißt auch, dass weniger Personen von der Methodik abweichen können. Zum anderen denken kleinere Teams oft in kurzen Projektzyklen und mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung. Aber: In jeder Teamgröße erfordern agile Arbeitsweisen Disziplin und Selbstverantwortung, Methodentreue und ein Anerkennen der in der Methodik verankerten Rollen. Und ohne ein Grundverständnis von Agilität im oberen Management skaliert Agilität eh nicht. Einen Anfang bietet da die Flexibilisierung von Budget- und Planungsprozessen mit OKRs (Objectives and Key Results) – also der durch Google bekanntgewordenen agilen, transparenten Ziel- und Ergebnisplanung. Diese setzen wir in vielen Transformationsprojekten auch in klassischen Strukturen erfolgreich um.

Mythos 2: Agilität passt nicht zu unserer Unternehmensstruktur

Aus meiner Sicht löst sich diese Sorge, wenn wir die Begriffe Abteilung und Team eigenständig betrachten. Die meisten Unternehmen sehen Abteilungen als Teams. Dabei sitzen dort nur Leute mit sehr ähnlichen Aufgaben und Fähigkeiten Tisch an Tisch. Erfolgreiche Projekte brauchen aber oft unterschiedlichste Fähigkeiten in einem Team. Also eben nicht nur Mitglieder aus einer, sondern aus mehreren Abteilungen. Der einzige Haken daran: Jede Abteilung hat ihre eigenen Interessen und Motivationen. Diese gilt es bei agilen Projekten zurückzustellen durch cross-funktionale Teams, wie sie beispielsweise Daimler mit seiner Swarm-Organisation anstrebt. Dann erhält Agilität die Unternehmensstruktur und erlaubt zugleich übergreifendes Arbeiten mit einem gemeinsamen Ziel.

Mythos 3: Agilität ist Chaos

Das ist der Irrglaube, den ich wohl am häufigsten höre. Und zugleich der unstrittigste. Agile Methoden lassen, richtig ausgeführt, keinen Spielraum für Chaos. Ganz im Gegenteil sind sie hocheffizient, klar, verbindlich und brauchen Disziplin und Selbstverantwortung.

Damit das in der Praxis genauso aussieht, ist Methodentreue par excellence notwendig. Schaue ich bei den Unternehmen, die vorher über Chaos klagten, genauer hin, sehe ich aber oft nur eine halbherzige Umsetzung agiler Methoden. Mein Rat: Steigen Sie tief in Methoden ein und setzen Sie sie mindestens 30 Tage originalgetreu um. Am besten mit einem Berater oder Coach, der die Einhaltung der Spielregeln streng kontrolliert. Danach können Sie schauen, wo nachjustiert werden muss. Garantiert chaosfrei.

Mythos 4: Agile Ergebnisse sind nicht planbar

Zum Teil ist das richtig. Agile Arbeitsweisen verlangen stets eine Hand am Lenkrad. Denn jede Entscheidung wird in kleinen Iterationen getroffen. Das erlaubt, jederzeit umzusteuern – es verlangt aber auch die Bereitschaft dafür zu jeder Zeit. Doch auch gegen Unplanbarkeit hilft nur Methodentreue. Durch gute Priorisierungen der Productowner mit cross-funktionalen Teams, einem Stakeholder-Management und einer stabilen Vision gibt es weniger unangenehme Überraschungen.

Mythos 5: Agilität ist nicht strategisch

Eine weitere Fehlannahme, die mir schon oft untergekommen ist. Wenn wir es mit dem Autofahren vergleichen, ist die VUCA-Welt, in der wir leben, eine Nebelwand. Sie erschwert uns die Sicht beim Fahren und wir müssen kurzfristig reagieren und steuern. Aber: Auch bei Nebel fahren wir nicht ohne Plan los. Wir kennen unser Ziel und den groben Weg dahin.

Dasselbe gilt in der Arbeitswelt. Nun kann ein Manager natürlich mit einem 5-Jahres-Plan navigieren, der in wenigen Monaten hinfällig ist. Oder er denkt in kleinen Iterationen, in denen sein Unternehmen testet, lernt, justiert und verwirft. Wer von beiden wird wohl besser durch den Nebel der VUCA-Welt steuern?

Was meint Agilität wirklich?

Zum Schluss möchte ich als Fan dieser Methode Ihnen natürlich nicht vorenthalten, was Agilität, richtig angewendet, für mich persönlich bedeutet – und was es vielleicht in Zukunft auch für Sie bedeuten kann: Agilität heißt in einer VUCA-Welt früh und kontinuierlich produktiv nutzbare, qualitativ hochwertige Ergebnisse zu liefern. Agil sind die Pünktlichen, nicht die hektischen Zuspätkommer! Denn Agilität entstand als Reaktion auf langsame, bürokratische Organisationen, um veränderten Marktbedingungen zu begegnen. Also nur Mut: Arbeiten Sie agil, aber machen Sie es richtig!

Bildquelle: Shutterstock

Über den Autor: Willms Buhse

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Dr. Willms Buhse, CEO und Gründer von doubleYUU, bringt mit Digital Leadership die Innovationen des Silicon Valley in die Büros der deutschen Führungsetagen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele Top-Manager zählen zu seinen Kunden. Er hält Vorträge in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an deutschen Elite-Universitäten in Berlin, München oder Hamburg. Dr. Willms Buhse gilt über deutsche Grenzen hinaus als Vordenker der digitalen Elite. Wie kein Zweiter versteht er es, Ideen und Impulse aus der digitalen Welt auf die Realität deutscher Unternehmen zu übertragen.