Was es bedeutet, dass Google den Tod zum Duell fordert

Es gibt zwei Konstanten in Googles Unternehmenspolitik. Erstens: Ziel von allem, was das Unternehmen tut, ist es, Nutzer zu animieren, länger und intensiver das Internet zu nutzen als bisher. Denn je länger und intensiver die Menschen surfen – egal, ob über Kabel oder mobil – desto mehr Chancen hat Google, Werbung zu platzieren und Informationen über die Nutzer zu sammeln. Zweitens: Nichts ist unmöglich. Das ganze Internet indexieren: Klar, das probieren wir. Autos, die ohne Fahrer fahren? Ok, die entwickeln wir.

Wenn man beiden Konstanten im Kopf hat, klingt das neuste Vorhaben von Google gar nicht so aberwitzig. Der Netzriese hat sich einen neuen Gegner ausgesucht – einen, der im Gegensatz zu den Anbietern von Hotelsuchen, Versicherungsangeboten oder mobilen Betriebssystemen aber nicht zwangsläufig chancenlos ist: Den Gevatter Tod.

Das Vorhaben klingt großspurig, passt aber zu Google, weil es A) scheinbar unmöglich scheint und B) definitiv dazu beiträgt, dass Menschen das Internet länger nutzen können als bisher. Vor allem aber sollten die Nachrichten, die gerade die TIME publik gemacht hat, Vertreter aus allen Bereichen der Gesundheitsindustrie hellhörig machen. Denn natürlich hat ein Vorstoß von Google in neue Märkte immer das Potential, dass sich viele Spielregeln in diesen Märkten grundlegend ändern.

Calico heißt, dass sich auf die Themen „Gesundheit und Wohlbefinden“ konzentrieren soll und in das Google eine bislang unbekannte Summe investiert.

Leiten wird es Google-Aufsichtsratmitglied Arthur Levinson, der als Chef von Genentech bereits Erfahrung im Bereich computer-gestütze Genomanalyse gesammelt hat. Wenn er Erfolg hat, sollen wir alle länger und besser leben, hofft Google-Gründer Sergey Brin. „Art and I are excited about tackling aging and illness. These issues affect us all—from the decreased mobility and mental agility that comes with age, to life-threatening diseases that exact a terrible physical and emotional toll on individuals and families.“

Die Google Bilanz im Gesundheitsbereich ist bestenfalls gemischt. Trendvorhersageprognosen erlauben es zwar mitunter, schnell zu erkennen, wo sich beispielsweise Grippewellen ausbreiten. Aber Google Flu Trends ist ein Nebenprodukt, das aus der hervorragenden Google-Internetsuche resultiert.

Ein dezidiert auf den Gesundheitsmarkt zielendes Produkt, Googles Digitale Krankenakte Google Health, wurde mangels Interesse und Vertrauen der Verbraucher schnell wieder abgewickelt. Larry Page ist zudem Investor in den Genanalysedienst 23andme, den seine Ehefrau gegründet hat.

Demensprechend wird auch das Google-Investement in Calico – wie andere Moonshot-Projekte wie das Bereitstellen von Internetzugängen mit Hilfe von riesigen Ballons und die selbstfahrenden Autos – unter anderem vom Wirtschaftsmagazin Forbes kritisch gesehen. „They (die Moonshot-Projekte) are simply not going to move the needle on Google’s business anytime soon, if ever. … Calico and the rest of these far-out projects are just that–far out. Read about them for entertainment, and maybe for insight into how Google’s executives think, which is no small concern. But don’t expect them to make a bit of difference in its business today, tomorrow, or next year.“

Diese kritische Einschätzung ist sicher zutreffend, wenn man heute aus der Perspektive eines Anlegers urteilt. Richtig ist auch: Schon seit langem schießen im oft von einem großen Heilglauben an die Versprechen der Technologie geprägten Silicon Valley Startups aus dem Boden, die mit Hilfe von Datenanalysen (von Gen- oder anderen Informatiossammlungen) versprechen, das Gesundheitswesen zu revolutionieren – mitunter mit sehr überschaubaren Folgen. In den nächsten zehn Jahren wird auch Calico mit hoher Wahrscheinlichkeit wenig Schlagzeilen machen.

Und trotzdem sollte jeder, der im Gesundheitsbereich tätig ist, die Entwicklung dieses jungen Unternehmens genau beobachten. Denn in einem ist Google weltweit unübertroffen: In der Fähigkeit, riesige Datenmengen zu strukturieren, auszuwerten und die Ergebnisse sinnvoll aufzubereiten. Wenn man sich vor Augen hält, dass es Stimmen gibt, die gerade das Thema Datenanalyse als den nächsten großen Treiber des Fortschritts in Gesundheitssektor ausmachen, ist es durchaus spannend, dass Google in diesem Bereich mitspielen will.

Der Sillicon-Valley-Investor Vinod Koshla etwa geht davon aus, „dass in den nächsten zehn Jahren Data Science und Software mehr für die Medizin tun werden als alle Bio-Wissenschaften zusammen.“ Vor allem mit Blick über die zunehmende Vernetzung von Patienten und Behandelnden mit Hilfe von tragbaren Computern und netzfähigen Messgeräten, und die Datenmengen, die Rahmen von Entwicklungen zur Personalisierten Medizin und im Zuge der „Quantified Self“-Bewegung erschlossen werden müssen, scheint diese Prognose zwar sehr forsch. Dass Big Data aber Gesundheitsmarkt und Gesundheitswesen nachhaltig in Zukunft prägen werden, davon ist sicher auszugehen.

Schon heute ist die Datenanalyse das, was Unternehmen wie Indivumed als wesentliche Verbesserung zur Behandlung von Krebserkrankungen beitragen. „Eine Datenbank aufzubauen, gilt als langweilig“, sagte Gründer Hartmut Juhl mir einmal während der Arbeit zu meinem Buch „Wild Economy“. Von wegen. Außgerechnet eine Datenbank bei diesen Themen aufzubauen und sie dann auch geschickt zu nutzen ist vermutlich alles andere als langweilig. Es ist die Zukunft.

 

Über den Autor: Willms Buhse

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Dr. Willms Buhse, CEO und Gründer von doubleYUU, bringt mit Digital Leadership die Innovationen des Silicon Valley in die Büros der deutschen Führungsetagen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele Top-Manager zählen zu seinen Kunden. Er hält Vorträge in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an deutschen Elite-Universitäten in Berlin, München oder Hamburg. Dr. Willms Buhse gilt über deutsche Grenzen hinaus als Vordenker der digitalen Elite. Wie kein Zweiter versteht er es, Ideen und Impulse aus der digitalen Welt auf die Realität deutscher Unternehmen zu übertragen.