Die Versicherungswelt im digitalen Wandel – Aufbau einer Digital Transformation Unit
Die R+V Versicherung ist einer der renommiertesten und größten Versicherer Deutschlands. Das Unternehmen ist Teil der Genossenschaftlichen FinanzGruppe Volksbanken Raiffeisenbanken und blickt auf eine lange Erfolgshistorie zurück – von der Gründung Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zur Neustrukturierung der Konzerngruppen. Aber auch an einem solchen Track Record geht die Digitalisierung nicht spurlos vorbei. Willms Buhse traf den ehem. Vorstand der R+V Peter Weiler zum Interview.
Herr Weiler, was reizt Sie persönlich an dem Thema Digitale Transformation?
Die Digitale Transformation bringt viele neuen Themen mit sich, darunter auch die Chance, etwas zu verändern. Sie treibt die Branchen und uns alle als Gesellschaft. Mich persönlich reizen vor allem diese vielfältigen Gestaltungsoptionen.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen am Markt? Was hat Sie überrascht?
Vor etwa drei, vier, fünf Jahren ging es noch ausschließlich um Online-Geschäftsmodelle. Das hat sich komplett gedreht. Jetzt rücken stationäre Präsenz und persönliche Kompetenzstärken wieder deutlich stärker in den Fokus. Sie haben eine höhere Bedeutung als oftmals angenommen. Zugleich wachsen die verschiedenen Kundenzugangskanäle zusammen und konvergieren. CDs und Bücher online zu verkaufen ist einfach, aber viele Versicherungsprodukte sind hochkomplex und erklärungsbedürftig. Dadurch bedarf es auch persönliche Ansprechpartner, die den Trend Digitalisierung mit vorantreiben. Ein Learning, das ich daraus ziehe: Generell müssen wir uns mehr mit Start-ups und Technologieanbietern beschäftigen und Kooperationen in Erwähnung ziehen, auch wenn viele junge Unternehmen Schwierigkeiten haben, Erträge zu erwirtschaften.
Sie haben schon viel gesehen und erlebt – sind InsureTechs für Sie ein Hype?
Von Hype würde ich nicht sprechen, aus der Generation InsureTech entwickeln sich potentiell interessante Partner für uns. Gleichzeitig beobachte ich, wie einige InsureTechs versuchen, uns Kunden abzugraben,. Mit denen kommen wir dann nicht zusammen. Viele Start-ups entwickeln aber auch Ausweichstrategien, wenn es ihnen nicht gelingt, schnell genug eigene Kunden zu gewinnen. Das ist teilweise von Investoren getrieben. Ggf. sind sie dann durchaus für eine Zusammenarbeit wieder interessant. InsureTechs sind also keine vergängliche Entwicklung. Viele Startups haben bereits jetzt nachhaltigen Einfluss auf den Markt ausgeübt. Wir müssen uns schneller bewegen.
Was bleibt also, bei all dem Wandel?
Ich sehe ein verändertes Kundenverhalten. Kunden streben nach mehr Komfort und Einfachheit. Gleichzeitig kämpfen wir mit Datenschutzrichtlinien und dem Umgang mit personenbezogenen Daten – E-Privacy und Datenschutz-Grundverordnung wirbeln hier aktuell einiges auf. Da haben die InsureTechs einen Vorteil: Mangels großer Rechtsabteilungen sind sie beim Thema Datenschutz oft entspannter, wir trauen uns da weit weniger. Andersherum haben wir aber auch mehr zu verlieren, zum Beispiel unsere Reputation. Verbraucherschützer schauen eben lieber auf die etablierten Anbieter als auf InsureTechs.
Welche neuen Kompetenzen wünschen Sie sich bei R+V?
Neue Methoden und Wissen sind relativ leicht zu lernen. Viel schwieriger sind kulturelle Kompetenzen – das Mindset. Eine Kulturveränderung ist aber der Erfolgsfaktor. Sicherheit und Risikobewusstsein sind tief in unseren Unternehmensgenen verankert, aber behindern uns auch bei Neuem. Das Lösen von diesen traditionellen Verhaltensmustern, die uns über Jahrzehnte geprägt haben, hin zu mehr Mut und Entscheidungsfreunde, Dinge auszuprobieren ist unsere aktuelle Herausforderung. Eben nicht alles zu 120 Prozent zu durchdenken und Risiken zu kalkulieren – was wir sehr gerne tun.
Herr Weiler, welche Chancen sehen Sie durch die Digitalisierung für das Geschäftsmodell der Genossenschaftlichen FinanzGruppe Volksbanken Raiffeisenbanken?
Unser großer Wettbewerbsvorteil besteht in einer etablierten Vertrauensbeziehung zu unseren Kunden und unserer Reputation. Außerdem bieten wir als Allfinanzgruppe gemeinsam mit den Volksbanken Raiffeisenbanken einen Omni-Kanal-Ansatz mit Präsenz und guter Beratung für komplexe Themen durch unsere Ansprechpartner vor Ort. Die Voraussetzungen sind gut, aber der Prozess ist anspruchsvoll und langwierig.
Was ist aus Ihrer persönlichen Sicht die Rolle des Vorstands in der Transformation?
Die Rolle des Vorstands in der Transformation liegt für mich auf der Hand. Sie besteht vor allem in der Vorbildfunktion. Er muss fordern, fördern und vormachen. Die große Herausforderung besteht darin, schnelle Entscheidungen zu treffen und Mut zu haben, auch unkonventionelle Lösungen zu unterstützen. Eine vernetzte Zusammenarbeit mit den Abteilungen bedeutet auch, voneinander zu lernen. Als Versicherer sind wir es gewohnt, Risiken zu kalkulieren und vermeiden diese eher. Risikosensitivität ist Teil unseres Geschäftssystems, solides Arbeiten ein Markenkernwert. Diese Attribute und unser Image haben uns in der Finanzkrise geholfen, als Hort der Sicherheit wahrgenommen zu werden. Der Vorstand hat die Aufgabe, diese mit den neuen Anforderungen im Zuge der Digitalen Transformation zu vereinbaren.
Agilität ist in aller Munde – wo sehen Sie die Potenziale bei R+V?
Wir sammeln bereits gute Erfahrungen mit agilem Arbeiten. Allerdings: Das Risiko beim agilen Arbeiten besteht darin, dass man zu oberflächlich, zu schnell und zu einfach vorgeht. Agilität heißt eben nicht, dass man nicht mehr plant. Es bedeutet nicht Chaos, sondern systematisches Vorgehen und Disziplin – die Methoden sind leicht zu lernen, aber das richtige Mindset dafür umso schwerer. Schnelle Entscheidungen bottom-up führen zu Beschleunigung. Aber auch bei agilem Vorgehen schadet Nachdenken nicht. Agilität ist keine Zauberlösung.
Was erwarten Sie persönlich von einem Chief Digital Officer (CDO)? Welche Qualitäten muss er mitbringen?
Der CDO mit seinem Bereich hat eine Bündelungs- und Treiberrolle, muss aktiv den digitalen Wandel gestalten und unsere digitalen Aktivitäten auf unsere strategischen Ziele ausrichten. Er muss das Gesamtunternehmen mitnehmen und dabei im Kontakt zu den anderen Bereichen stehen und integrativ wirken. Der CDO soll die Geschwindigkeit steigern, ohne die anderen zu verlieren. Dafür braucht er kommunikative und integrative Fähigkeiten.
Wie schätzen Sie die Aufstellung der R+V zum Thema Digitalisierung nach dem Projekt mit doubleYUU ein?
Die Zusammenarbeit mit doubleYUU hat uns sehr geholfen. Wir wussten, dass wir etwas tun mussten, bloß wie wir es strategisch ausgestalten wollten, war unklar. Wie schafft man den Wandel, was ist sind Aufgaben, und welche Optionen zur Ausgestaltung und Steuerung haben wir? Das waren die Fragestellungen, die es zu beantworten galt und mit denen wir unzureichende Erfahrung hatten. Von doubleYUU erhielten wir viel Erfahrung und auch Wissen aus anderen Branchen von outside-in. Das hat gut funktioniert. Unsere Herausforderung in 2018 ist die Akzeptanz und Integration dieser Impulse im täglichen Tun. Das hängt allerdings stark von den handelnden Personen ab. Dieses Jahr haben wir auch dank doubleYUU die Grundlage dafür geschaffen, damit die Digitalisierung keine bürokratische Hürde wird. Davon haben wir ohnehin genug.
Was schätzen Sie persönlich an der Zusammenarbeit mit doubleYUU?
doubleYUU hat es geschafft, ein sehr heterogenes Projektteam mit partizipativen Methoden auf gemeinsame Ergebnisse zu bringen. In Workshops haben wir viele gute Ideen für die Gestaltung ausgearbeitet. Am Ende stand unser komplettes Projektteam hinter dem Gesamtergebnis. Dadurch war der Entscheidungsprozess im Vorstand hochgradig konsensfähig. Das ging nur durch die gute Begleitung und das strategische Steuern seitens doubleYUU.
Vielen Dank für das Gespräch und die spannende Zusammenarbeit, Herr Weiler.