Das Industriezeitalter ist vorbei! Warum VW Agiles Management braucht

 

Zunächst einmal möchte ich Gunnar Sohn gratulieren. Der hat ein tolles, neues Magazin herausgebracht: Boardreport – ein Magazin für Manager, Geschäftsführer, Vorstände und andere Interessierte. Als Printausgabe! ;) Und das erste befasst sich mit der Misere rund um VW. Vordergründig. Hintergründig geht es um die Managementkultur, die VW und natürlich auch jeder andere Konzern – gleich welcher Branche – braucht, um im digitalen Zeitalter erfolgreich zu sein. Im Leitartikel kommen ein paar Experten zu Wort, darunter auch ich, aber zunächst Prof. Lutz Becker, Studiendekan des Master-Studiengangs Sustainable Marketing & Leadership an der Hochschule Fresenius Köln. Der sagt, VW hinke im Kerngeschäft hinterher. Bis auf ein paar Teillösungen, zum Beispiel der Elektroantrieb des E-Golf, gebe es keine bedeutsamen Neuerungen. „In der Mittelklasse mit A3, A4, A6, Golf und Passat ist man noch stark. Aber auch hier fehlen bahnbrechende Innovationen. Man ist im VW-Konzern zu stark auf die Bewahrung des Brot-und-Butter-Geschäftes fixiert“. Ich bin ganz seiner Meinung und bloggte dazu bereits im Januar: Innovation im Bestandsgeschäft.

Kunden als Teil des Systems

Wirtschaftshistoriker Klemens Sibicki stößt ins gleiche Horn. Er bemängelt, dass sich vernetzte und transparente Wirtschaftsprozesse bei VW nicht widerspiegeln. Das Internet of Everything, im Rahmen dessen Menschen und Dinge miteinander und jeweils untereinander kommunizieren, verlange völlig neue Kommunikationsmodelle, die durch herkömmliche Methoden nicht umgesetzt werden können. Sehr zu Recht regt er sich über Herrn Müller auf, der sich in seiner Eigenschaft noch als Vorstandsvorsitzender von Porsche abfällig über das Silicon-Valley-Start-Up Tesla äußerte – es sei zu ignorieren, weil es Verlust machte. Das ist vorsichtig ausgedrückt gewagt. Denn Tesla, so Sibicki, mache es hinsichtlich der Kommunikationsstrukturen in einer digitalen Welt richtig: Kunden werden als Teil des Systems betrachtet, Transparenz ist selbstverständlich – ein Prinzip, das VW ganz offensichtlich noch nicht ganz verstanden hat – besonders nicht, wenn es um eigene Fehler geht.

Mechanismen des Industriezeitalters sind out

Noch deutlicher wird Prof. Becker: „Kultur kann man nur durch Narrative und vorgelebte Praktiken ändern. Die Prozesse zur Diffusion dauern in großen Organisationen natürlich lange. Trägheitsmomente und Verharrungsvermögen haben da eine andere Qualität. Deshalb macht es Sinn, kleine und selbständig agierende Kerne zu bilden.“

Beide stellen also fest, dass die Mechanismen des Industriezeitalters so nicht mehr greifen. Und zwar deshalb, weil es vorbei ist. Heute bestimmen das Internet und seine Prinzipien den wirtschaftlichen und technologischen Erfolg. Digitale Plattformen, Algorithmen und Online-Netzwerke determinieren die Erlösmodelle von Unternehmen. Wer die Macht über Internet-Technologien und die Software hat, wer also die Daten des Unternehmens kennt und versteht, wird zum Machthaber über Erfolg und Misserfolg.

Leitartikel Agiles Management

Führungskräfte und Methoden aus der Software-Industrie

Dazu werde auch ich im Leitartikel befragt und weise darauf hin, dass VW auf dem Weg ist, in eine ähnliche Situation zu geraten wie IBM zu Beginn der PC-Ära. Das Betriebssystem überließ man Microsoft und im übriggebliebenen Hardware-Geschäft wurde IBM austauschbar. „Um das zu verhindern, braucht die VW-Führung unter Müller externe Führungskräfte aus der Software-Industrie“, werde ich zitiert. Und weiter: „Man sollte sich in Wolfsburg an den Methoden des agilen Managements orientieren und die sehen anders aus als in den klassischen Industrieunternehmen.“ Agile Programmiermethoden beispielsweise bauen ein System ohne Pflichtenheft. Es gleicht eher einem App-Store mit vielen kleinen Anwendungen darin. Systemarchitekten und Vertreter der Anwender entscheiden gemeinsam, welche Funktionen wirklich gebraucht werden. Es sinkt die Gefahr, nach einer langen Planung am Reißbrett ein völlig veraltetes System in Betrieb zu nehmen und senkt die Entwicklungszeit – wie auch deutsche Unternehmen wie Bosch als agiler Zulieferer mit einigen anderen Kunden bereits vorleben.

Vertrauenskultur

Außerdem wichtig: Fehlertoleranz. Natürlich nicht bei der Montage von Bremsen, zum Beispiel. Aber bei der Entwicklung neuer Modelle! Agile Planungsmethoden kalkulieren Fehler mit ein, unmittelbares Feedback sorgt dafür, dass diese schnell behoben werden können, so dass eine andere Richtung eingeschlagen werden kann. Dafür braucht es aber Vertrauen. Teams müssen selbstorganisiert arbeiten können, Abweichungen vom einmal ausgelobten Soll dürfen nicht abgestraft werden – im Gegenteil: Sie müssen mit größtmöglicher Transparenz und Offenheit geprüft und bewertet werden. Stellt sich heraus, dass tatsächlich Schaden entsteht, kann schnell reagiert und der Fehler behoben werden. Vielleicht ist die Abweichung von der ursprünglichen Zielvorgabe aber genau der Schritt in die richtige Richtung, der nun weiterverfolgt werden kann. So eine Kultur braucht VW.

Vernetzt, Offen, Partizipativ, Agil (VOPA)

Was allen Stimmen in diesem Beitrag gemeinsam ist: Es ist klar, dass sich Konzernprozesse und –modelle an den Erfolgsfaktoren des Internets orientieren müssen. Dazu zählen Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität (VOPA). Was das für Automobilkonzerne heißt, erläutere ich in einem Interview mit Gunnar Sohn am Beispiel des Autobauers Local Motors: Der reizt die Hebel der Netzökonomie aus und generiert seine besten Fachkräfte direkt im Netz, und zwar in Online-Communities. Neue Modellreihen werden nicht unter strenger Geheimhaltung und hinter verschlossenen Türen produziert, sondern mit Hilfe von rund 36.000 Experten, die sich in der Online Community vernetzen. Selbstredend, dass neue Modelle so nicht nur schneller, sondern auch billiger entwickelt werden können. Müller sollte sich bewusst sein: Tesla und Co. mögen zunächst defizitär sein – aber das macht sie nicht minder gefährlich, im Gegenteil. Risikobereitschaft und Vertrauen machen ihre Entwicklungen zu den Erfolgsgeschichten der Zukunft. Agile und partizipative Führung sind notwendige Voraussetzungen dafür. Ich wünsche VW, dass der Konzern auch in Zukunft dabei eine Rolle spielt, anstatt sich für heimliche und peinliche Manipulationen per Salamitaktik zu entschuldigen. Die Verhältnisse drehen sich um und schon bald werden Vorstände disruptiver Start-Ups – auf Industrieriesen angesprochen – mit den Schultern zucken und sagen dann: „Die sind nicht gefährlich für uns. Die machen ja Verluste.“

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Über den Autor: Willms Buhse

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Dr. Willms Buhse, CEO und Gründer von doubleYUU, bringt mit Digital Leadership die Innovationen des Silicon Valley in die Büros der deutschen Führungsetagen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele Top-Manager zählen zu seinen Kunden. Er hält Vorträge in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an deutschen Elite-Universitäten in Berlin, München oder Hamburg. Dr. Willms Buhse gilt über deutsche Grenzen hinaus als Vordenker der digitalen Elite. Wie kein Zweiter versteht er es, Ideen und Impulse aus der digitalen Welt auf die Realität deutscher Unternehmen zu übertragen.